Henrik Hubert – eine vergessene Persönlichkeit der Pressburger Geschichte

Historische Persönlichkeiten
5. Juni 2023

Es ist nicht verwunderlich, dass viele bedeutende Persönlichkeiten mit der Zeit in Vergessenheit geraten. Das gilt auch für die Geschichte von Bratislava, die im vergangenen Jahrhundert von vielen politischen und gesellschaftlichen Veränderungen betroffen war. Jeder von ihnen folgte der Austausch von Eliten, die Umbenennung von Straßen und öffentlichen Plätzen sowie die gezielte Hervorhebung von Personen die die aktuelle politische Repräsentation legitimierten. Die Suche nach vergessenen oder ausgesprochen „kaltgestellten“ Pressburger Bürgern und Bürgerinnen kann uns helfen, die Rolle des Menschen in einer sich ununterbrochen verändernden Stadt besser zu verstehen und die „große Geschichte“ mit der Perspektive eines konkreten menschlichen Lebens zu verfolgen. Nun stellen wir Ihnen Henrik Hubert vor, den Pressburger pars excellence, der jahrzehntelang, und nicht durch seine Schuld, weit weg von seiner geliebten Stadt ruht…

 

Der 31-jährige Henrik Hubert auf der Titelseite der Zeitung Vendéglősök Lapja (20. 03. 1909) – grafisch modifiziert

Was wurde ihm in die Wiege gelegt?

Henrik Hubert wurde am 12. Oktober 1877 geboren und sechs Tage später im Martinsdom (in der Kathedrale des Heiligen Martin) getauft. Er war das erste Kind von Johann Evangelist Hubert (*1849, †1882) und Pauline, geb. Habermann (*1857, †1925). Mit einem guten sozialen und materiellen Hintergrund gehörten seine Eltern bzw. Großeltern zur kaufmännischen Bürgerschicht. Sein Pate – namens Josef Hubert – war wiederum ein bedeutender Architekt (er beteiligte sich z.B. am Umbau des Schlosses in Weinitz (Bojnice) und war auch der Architekt des Pisztory-Palastes in Pressburg). Onkel Franz Hubert war dagegen Virilist und Mitglied des Stadtkomitees von Pressburg. Er besaß eine Baufirma in der heutigen Altstadt (Dostojevského rad) und ist der Erbauer der berühmten Hubert-Häuser, die an der Stelle des heutigen Busbahnhofs standen.

Auch Henrik Hubert baute und schuf, aber nicht aus Ziegeln, Stein oder Zement wie seine Onkel. Der Wein wurde zu seinem Schicksal. Da er 1882 seinen Vater verlor, übernahm seine Mutter die Leitung der ältesten mitteleuropäischen Sektfabrik in der Radlinský-Straße. Sie benannte sie zu Ehren ihres Mannes Hubert J. E. und seitdem existiert diese Marke ununterbrochen. Aber wir wollen nicht zu weit vorpreschen. Pauline war wirklich sehr erfolgreich, was nicht nur die Auszeichnungen für ihre Sekten aus verschiedenen Ausstellungen und Wettbewerben zeigen, sondern auch die Tatsache, dass das Unternehmen eines der größten und bekanntesten in ganz Ungarn war und Sekt in die ganze Welt vertrieb. Die junge Witwe, die sich der Vorteile einer guten Erziehung bewusst war, bestimmte ihrem einzigen Sohn den Weg, den er einzuschlagen hatte und der schließlich seinen Lebensweg definierte.

Abbildung der Fabrik in der Radlinský-Straße. Es konnte auch in Form einer Postkarte gekauft werden.

Bedeutender Winzer und Unternehmer

Henrik Hubert ging zum Studium nach Deutschland, wo er die Königliche Lehranstalt von Obst- und Weinbau zu Geisenheim besuchte. Sie war zu dieser Zeit wohl die beste Bildungseinrichtung für Weinbauer bzw. Winzer auf der ganzen Welt. Den Studenten wurden die neuesten Erkenntnisse aus der Kellerwirtschaft, der Gärungsphänologie oder der Hefezüchtung von führenden Experten beigebracht. Da gerade die Wirkung der edlen Hefe bei der Herstellung des Sekts ausschlaggebend ist, ist es anzunehmen, dass Henrik Hubert hier wirklich Wissen erworben hat, das er nach seiner Rückkehr in seine Heimat voll nutzen konnte. Nach seinem Studium in Deutschland absolvierte Henrik weitere „Praktika“ in Deutschland und Frankreich, wo er für die besten Weinhersteller der Welt arbeitete. Am Ende des 19. Jahrhunderts kehrte er nach Pressburg zurück und etablierte sich mit Wissen und Erfahrungen nicht nur im städtischen, sondern auch im gesamtungarischen (Weinland-) Kontext.

Die folgenden Beispiele werden uns zur Demonstration dienen. 1908 wurde im ungarischen Parlament ein Gesetz über die Fälschung von Wein und die Vermarktung von gefälschtem Wein verabschiedet. Eines der Kontrollmittel war die Einsetzung von Fachkommissionen, die sich aus Sachverständigen zusammensetzten, um Gutachten für Proben verdächtiger Weine zu erstellen. Henrik Hubert war ebenfalls Mitglied dieser Kommission.

Selbstverständlich wurde Henrik nach seiner Rückkehr in die Heimat neben seiner Mutter Gesellschafter in der Unternehmensleitung. Wir nehmen an, es war vor allem sein Verdienst, dass im Jahre 1902 eine Firmenbroschüre herauskam, in der er der Öffentlichkeit in moderner Form nicht nur die auf den Fotos festgehaltenen Räume, sondern auch den Prozess der Schaumweinherstellung, seine Komplexität und Exklusivität vorstellte. Henriks Tätigkeit an der Spitze des Unternehmens wird nicht nur durch Fachwissen und technologischen Fortschritt definiert, sondern auch durch die Einführung moderner Marketingelemente. Zum Beispiel rief er 1921 einen öffentlichen, honorierten Wettbewerb für Corporate Visuals (Erscheinungsbilder eines Unternehmens) aus. Diese Art der Präsentation wird auch heute noch verwendet. Es ist also zu konstatieren, dass Henrik Hubert seiner Zeit voraus war.

Eine Werbung für das Unternehmen in der Pressburger Zeitung (7. 09. 1913)

In diesem Kontext ist jedoch am wichtigsten, dass die Firma Hubert J. E. bis zur Verstaatlichung erfolgreich existierte. Nach der Entstehung der Tschechoslowakei wurde Henrik Hubert alleiniger Eigentümer des Unternehmens und schaffte das, was andere nicht zustande bringen konnten. Selbst die berühmte Familie Palugyay konnte den Folgen des Zusammenbruchs der Monarchie und später der Wirtschaftskrise nicht standhalten. Und es war Henrik, der bei der Versteigerung des Weingutes Jakub Palugyay und Söhne 1939 den höchsten Preis bot und alle Flaschen und Ständer für Sekt kaufte…

Der Pressburger Bürger

Henrik Hubert behauptete, ungarischer Nationalität zu sein, aber seine Identität war durch und durch Pressburger. Auch seine beiden Eltern waren geborene Pressburger. Er beherrschte hervorragend Deutsch, das vielleicht auch seine Muttersprache war (sein Großvater Johann Hubert stammte übrigens aus Österreich, aus der Ortschaft Bruck an der Leitha), sprach natürlich Ungarisch, Französisch und Slowakisch. Im Jahre 1899 wurde er Mitglied des Stadtkasinos, des ältesten städtischen Vereins, auf dessen Gelände bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mehrere bedeutende Projekte entstanden sind (z.B. die Pferdebahn). In den Jahren 1926 – 1936 war er sogar dessen Vorsitzender, wobei zu dieser Zeit der Verein natürlich vor allem die „alten ungarischen Pressburger“ repräsentierte, d.h. den deutsch-ungarischen Teil von Bratislava. Henrik wurde auch Präsident der Ersten Pressburger Sparkasse, des ältesten Geldinstituts auf dem Gebiet der heutigen Slowakei.

Ein Blick in den Versandraum des Unternehmens. Quelle: Firmenbroschüre (1902), aufbewahrt im Museum der Stadt Bratislava.

Henrik, als intelligenter Kosmopolit, erkannte schnell, dass das ungarische Pressburg nun der Vergangenheit gehört, stattdessen wird das tschechoslowakische Bratislava zur Realität. Deshalb knüpfte er auch Kontakte zur neuen tschechoslowakischen politischen und unternehmerischen Elite. Er wurde zum Beispiel Mitglied des Klubs der slowakischen Autofahrer, 1930 war er einer seiner Vizepräsidenten. Zwar wurde der Schaumwein nicht nur in den Clubs und von der Creme der Gesellschaft getrunken, aber der persönliche Kontakt mit den Direktoren der Filialen der tschechoslowakischen Banken, Rechtsanwälten oder Unternehmensleitern half ihm sicherlich, die Marke und das Produkt, das er repräsentierte, besser zu verkaufen und ins Bewusstsein zu bringen.

Es ist also offensichtlich, dass Henrik über Kontakte verfügte, die ihm dazu verhalfen, das Unternehmen zu erhalten und auszubauen, so konnte er selbst Karriere machen. Seinen 50. Geburtstag feierte er im Jahre 1927 im Hotel Savoy (heute Teil des Hotels Carlton) in Anwesenheit der Beamten der Ersten Pressburger Sparkasse, an deren Spitze er stand, und seiner persönlichen Freunde, zu denen viele bedeutende Pressburger Bürger gehörten. Einer von ihnen war auch Henry Prüger, der Besitzer des Hotels, in dem Henrik Hubert seinen Geburtstag feierte.

Henrik Huberts Exlibris weist auf seine Pressburger Identität hin.

Der Zweite Weltkrieg und die Zwangsumsiedlung

Die Entstehung eines autoritären slowakischen Staates und der Verlust der südlichen Territorien führten den alternden Henrik offenbar dazu, 1939 der (Vereinigten) Ungarischen Partei in der Slowakei (Szlovenszkói Magyar Párt) beizutreten. Obwohl er sich um Ämter nicht beworben und an keiner Parteitagung teilgenommen hatte, war dies ein Anzeichen dafür, dass er am Ende des Krieges als politisch engagierter Ungar betrachtet werden würde. Henrik musste sich auch mit den Requisitionen in der Firma von den deutschen Soldaten befassen, in der Folge auch mit der Plünderung der sowjetischen Armee. Sein gesamtes Vermögen wurde im Juni 1945 unter die nationale Verwaltung gestellt, weil er weder eine aktive Teilnahme am Kampf gegen Deutschland oder Ungarn beweisen konnte, noch einen ernsthaften Beitrag zur Wiedererlangung der Freiheit der Tschechoslowakischen Republik und des slowakischen und tschechischen Volkes geleistet hatte.

Henrik Hubert wurde ebenfalls vor dem Volksgericht ermittelt. Nachdem aber bewiesen worden war, dass er zu den Gegnern des faschistischen Regimes gehörte und dass er das Eigentum von Ferdinand Steiner, der jüdischer Nationalität war, verwahrte, um ihn vor Beschlagnahmung und anderen „regimefeindlichen“ Handlungen zu bewahren, wurde die Strafverfolgung eingestellt. Doch er selbst verlor schließlich alle seine Besitztümer. Nach der Machtergreifung durch die Kommunisten erloschen alle Hoffnungen und im Rahmen der Aktion B wurde er 1952 als „Ausbeuter und gewinnsüchtiger, raffgieriger Schinder“ bezeichnet und ihm wurde sogar das Dach über dem Kopf genommen. Zusammen mit seiner Frau Ilona (das Ehepaar war kinderlos, sie heirateten 1918) wurde das damals 75-jährige ehemalige geschätzte und verehrte Mitglied der Stadtgesellschaft, in den Kurort Stooß (Štós) in der Nähe von Kaschau (Košice) umgesiedelt. Hier verbrachte er den Abend seines Lebens in völliger Armut. Frau Gabriela Stramová erinnerte sich noch nach Jahrzehnten daran, als sie als kleines Mädchen dem Ehepaar Butter, Eier oder Milch brachte. Angeblich hatten sie nichts zum Heizen und es war ihnen kalt …

Das Haus von H. Hubert in Stooß (Štós), aktueller Zustand. Foto: Pavel Bodnár

Doch seine Botschaft lebt weiter

Henrik Hubert starb am 20. November 1959 im Alter von 82 Jahren. Weit weg von seiner Heimatstadt, weit weg vom Andreas-Friedhof (Ondrejský cintorín), wo seine ganze Familie im Familiengrab ruhte. Im Jahr 2016 renovierte die Gesellschaft Hubert J. E. seine letzte Ruhestätte in Stooß (Štós) und das alte Holzkreuz ersetzte ein würdiges Steindenkmal. Im unteren Teil des Denkmals ist folgende Inschrift eingraviert worden: „Er ist gegangen, hinterließ aber ein Vermächtnis und die Traditionen der Gründer der Schaumweinproduktion in der Slowakei. Ehre seinem Andenken.“

Der Grabstein von Henrik Hubert in Stooß (Štós) . Foto: Pavel Bodnár

Diese Inschrift ist wirklich zutreffend. Obwohl Henrik in Armut starb und vor vielen Jahren in Vergessenheit geraten war, baute er etwas auf, das über Generationen, staatliche Institutionen und Regime hinausging. Die Marke Hubert existiert kontinuierlich seit der österreichisch-ungarischen Monarchie und dies ist vor allem ihm und seiner Mutter Pauline zu verdanken. Nicht einmal der Sozialismus konnte Hubert erreichen, obwohl die Produktion von Bratislava nach Sereth (Sereď) verlagert wurde. Die Marke hatte eine dermaßen alte Tradition, Geschichte und so einen guten Ruf unter den Menschen, dass die kommunistischen Führer beschlossen hatten, sie zu bewahren. Es gibt wirklich nicht viele Marken und Menschen, die das geschafft haben.

Henrik Hubert ist aber auch in anderer Hinsicht inspirierend. Als Pionier innovativer Experte, als Mann hat er es geschafft, verschiedene Nationalitäten bzw. Religionen zu verbinden und zu akzeptieren (sein Vater war übrigens römisch-katholisch, seine Mutter und jüngere Schwester engagierte Mitglieder der evangelischen Kirche). Aus den Archivdokumenten geht auch hervor, dass er in der Lage war, für einen Menschen in Not einzutreten und ihm zu helfen. Ohne übertriebene Idealisierung ist es wichtig, sich an diese Aspekte seines Lebens zu erinnern.

Štefan Hrivňák

Übersetzung: Melinda Rácz

 

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